Geschrieben von ski am 03. Dezember 2016
Gedanken einer Hausfrau am zweiten Advent
Ein Gedicht von Brigitta Weiss
Der Angstschweiß steht mir schon im Nacken,
es sind nur noch zwei Wochen,
der Stollen ist noch nicht gebacken,
und was soll ich bloß kochen?
Dann das Geschenk für Tante Grete,
der man's nie recht kann machen,
die ungepackten Postpakete,
die ungekauften Sachen.
Ich weiß nicht, wie ich das noch schaffe,
mein Geld ist auch schon alle;
jedoch daß ich schon jetzt erschlaffe,
das geht in keinem Falle.
Mir fehlen auch noch Honigkuchen,
Lametta un ddie Kerzen,
den Baumständer muss ich noch suchen,
die Ausstechform für Herzen-
Dann brauch ich auch noch Rock und Bluse,
schwarz-glänzend für die Predigt,
'ne Hose für die Tochter Suse -
Ich bin schon ganz erledigt!
Mit meinem Mann muß ich beraten,
was wir zum Feste trinken,
wo kaufe ich den Gänsebraten,
wer hat den besten Schinken?
Und Rotkohl darf ich nicht vergessen,
sonst muß, wie vor zwei Jahren,
man Gans nur mit Kartoffeln essen:
das will ich uns ersparen!
Ich hab noch keine Weihnachtskarten,
wär'n sie nur schon geschrieben -
ich darf nicht lange damit warten,
schreib' fünfig mal „IHR LIEBEN“!
Wie mach' ich's nur noch auf die Schnelle
mit meinen glatten Strähnen?
Ich brauch' 'ne neue Dauerwelle,
und auch mit meinen Zähnen
hab' ich seit kurzem Schwierigkeiten
beim Beißen und beim Kauen;
da müßte ich doch noch beizeiten
nach Arztterminen schauen.
Was mach' ich nur mit den Gardinen
und mit den trüben Scheiben?
Die altmodischen Vorhangschienen
müssen bis Neujahr bleiben.
Ich muß auch bald den Baum bestellen
am besten Edelfichte -
und heute noch beim Klempner schellen,
daß er den Duschhahn dichte.
Mein Sohn wünscht sich 'ne Skiausrüstung,
wo kann ich die nur kriegen?
Der Kleinste will 'ne Ritterrüstung
und Flugzeuge, die fliegen.
Und dann, was schenk ich meinem Manne,
der hat schon so viel Sachen!
Die Schwiegermutter kriegt 'ne Pfanne
und noch ein Buch zum Lachen.
Ich habe noch nichts für die Schwester
und auch nichts für die Tanten;
die kommen ja dann zu Silvester
mit noch drei Anverwandten.
Ich bin schon ganz entmutigt heute
vor lauter Stress und Denken:
es macht mir keine Freude, Leute,
so im Akkord zu schenken.
Ich glaub', ich werd' vor lauter Sorgen
noch den Verstand verlieren:
Ich laß' mir in der Klinik morgen
den Blinddarm operieren!
Brigitta Weiss
Brigitta Weiss, geboren in Wetzlar, studierte evangelische Theologie, Anglistik und Germanistik. Sie lebte seit 1975 mit ihrer Familie in Bad Lauterberg. Sie brachte mehrere Gedichtbände und zahlreiche Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften heraus und erhielt diverse Lyrikpreise und Auszeichnungen. Mit ihren Lesungen begeisterte sie immer wieder die Bad Lauterberger Zuhörer und Gäste. Brigitta Weiss verstarb nach schwerer Krankheit am 2. Juli 2013.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Angehörigen.
Herzlichen Dank an Karin Fock.